Wider den Kultursnobismus

Mit Barrierefreiheit kann die Abwesenheit vielerlei Dinge bezeichnet werden, da auch vielerlei Dinge eine Barriere darstellen können. Das Tragische daran ist, dass man sie oft als Nichtbetroffener nur dann wahrnimmt, wenn man von einem Betroffenen darauf aufmerksam gemacht wird. Vor allem wenn das eigene Verhalten als Nichtbetroffener dann dazu führt, dass es für den Betroffenen eine Barriere darstellt, kann das ganz schön unangenehm sein. Traurig aber wahr: auch der eigene Umgang mit Kultur kann eine Barriere darstellen.

 

Kürzlich war ich ja mal wieder als Berichterstatter unterwegs. Bei diesem kulturellen Event, eine Lesung, fühlte ich mich reichlich deplatziert. Nicht etwa, weil ich befürchten müsste, dass meine sprachlichen Kompetenzen oder mein Hintergrundwissen über den mit der Lesung vorzustellenden Autor, Max Frisch, ausreichen würde. Sondern weil ich wie ein bunter Hund aus dem geneigten Auditorium hervorstach. Dabei war ich noch nicht einmal aufgegruftet. Fast schien es mir, als würden mich immer wieder vorwurfsvolle Blicke aus sicherer Entfernung treffen. Mein Vergehen? Alltagskleidung.

Das Setting war bilderbuchreif: Ältere Herrschaften aus dem akademischen Umfeld, gehüllt in elegante Abendkleidung, begrüßen einander mit Handschlag – sofern sie nicht zwei Sektgläser tragen müssen – und/oder Küsschen, während sie der Duft schweren Parfums eskortiert. Man plauscht. Man salbadert. Man beweist einander die Zugehörigkeit zur hiesigen Kultur-Szene („Der Prosecco bei Enjoy Jazz hat ja fünf Euro gekostet…“, „Jaja, die Bücherstübe an der Tiefburg ist ja sehr engagiert, was solche Veranstaltungen betrifft, sehr engagiert…“). Kennt man sich schon länger, siezt man sich trotzdem, kommt aber nicht umhin, den Gesprächspartner auch am Familienleben teilhaben zu lassen: „Ja also meiner famuliert gerade in Südafrika…bei diesem Herzspezialisten…“

Nun gut, über die Umgangsformen untereinander (in-group) lässt sich vortrefflich streiten. Ich würde mich da nicht wohlfühlen, aber als nicht zur Identifikationsgruppe (out-group) Gehörender muss ich das ja auch nicht. Problematisch wird es erst, wenn diese oder irgendeine andere (homogene) Gruppe das Feld der Kultur für sich beansprucht und jeden (sozial) sanktioniert, der nicht fähig oder willens ist, sich dieser Gruppe anzupassen. Denn genau dieses Verhalten stellt eine Barriere dar.

Selbstverständlich habe ich mich anfangs gefragt, weshalb ich der einzige im Saal war, der (okay, vielleicht doch nicht ganz so) deutlich unter dreißig und in (deutlich als solche erkennbare) Alltagskleidung gehüllt war. Nach einer knappen Viertelstunde wusste ich es dann. Wenn ich von vorneherein wüsste, dass ich mit schiefen Blicken und eventuell noch geringschätzigen, auf mich abzielenden Kommentaren rechnen müsste, würde ich es mir – wenn ich anders gestrickt wäre – auch überlegen, ob ich zu einer solchen Veranstaltung gehe, oder nicht.

Dabei ist der möglichst unbehinderte Zugang zu und die Teilhabe an Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unerlässlich. Wie soll sich denn sonst eine Wertegemeinschaft herausbilden, wenn nicht mittels der Kultur? Und dabei ist es ja fast schon unerheblich, ob man darunter jetzt die klassische Oper, oder zeitgenössischere Erscheinungsformen der Auseinandersetzung mit dem Leben und den Lebensrealitäten verstehen möchte. Kultur und die Teilhabe daran sind kein Statussymbol für die Zugehörigkeit zu einer gewissen sozioökonomischen Schicht, sondern Grundvoraussetzung für die Herausbildung, den Erhalt und die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Und wenn wir uns als Gesellschaft eines auf die Fahnen geschrieben haben und das auch immer wieder beteuern, dann sind es Vielfalt und Toleranz.

Natürlich kann (und ich bin mir sicher: einige werden es tun) man damit argumentieren, dass das Sich-in-Schale-Schmeißen ein unerlässlicher Ausdruck für die Wertschätzung für Werk und Künstler und die Besonderheit der Gelegenheit darstellt. Aber Etikette vernichtet jeden Ausdruck für Wertschätzung (denn welchen Wert kann ich schon etwas beimessen, zu dem ich verpflichtet bin?) und die Gelegenheit, also die Teilhabe am kulturellen Leben, sollte nichts Besonderes sein. Wer meint, durch rektal eingeführtes Holz sein Rückgrat verstärken zu müssen, der soll das bitte auch tun. Ich hindere niemanden daran, schick gekleidet die Familienjuwelen spazieren zu tragen, wenn er/sie/es ins Theater geht. Aber wer andere für ihre Andersartigkeit abstraft und zu allem Überfluss dann auch noch das Wort „Hochkultur“ in den Mund nimmt, ist nun mal nicht mehr als das: ein Kultursnob.

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

3 Gedanken zu „Wider den Kultursnobismus“

  1. Wundervoll geschrieben – und so treffend. Kultursnob ist ein schönes Wort. Das schlimme an diesen Leuten ist aber vor allem, dass ein Teil davon garantiert nicht wegen des Künstlers, Stücks, etc… an sich dorthin geht sondern nur, um sagen zu können „Ich war dabei“, glänzen zu können und an der „feinen“ Gesellschaft teilhaben zu können.
    Ich persönlich finde dieses Verhalten ganz schön heuchlerisch… Aber zum Glück sind nicht alle so. Es ist nur gar nicht so leicht zu unterscheiden wenn fast alle sich so versnobt geben…

  2. Stimme Aramandel zu: Treffend formuliert und beschrieben. Zugegeben, ich besuche nur selten das Theater, geschweige denn Konzerte. Weniger mangelnden Interesses, als vielmehr mangelnder Motivation wegen – wozu Geld und (ohnedies schon flattrige) Nerven für etwas aufbringen, das ich mir, ganz unbehelligt von den obig erwähnten illustren Kreisen, in der heutigen Zeit gemütlich, ohne Dauerstress, via Radio/Internet anhören/ansehen kann?

    Ich nehme also nur selten an derlei Veranstlatungen teil – und trotzdem konnte auch ich mir in den vergangenen Jahren immer wieder ein Bild von den „Kultursnobisten“ machen. Auf offener Straße, sozusagen. Immer dann, wenn ich zufällig an ebenjenen Herrschaften vorbei marschierte und man sich justament über die letzte Vernissage, Lesung, das jüngste Bühnenstück etc. unterhielt/mokierte/was auch immer. Dreierlei sticht selbst dem Kulturlaien dabei immer ins Auge:

    1. Garderobe
    2. Wortwahl, Tonfall, Akzentuierung, kurzum: die Sprache als solche
    3. Haltung

    Als handle es sich bei allem und jedem, das in irgendeiner Art und Weise mit Kunst und Kultur zusammenhängt, um etwas/jemanden, das/der ausschließlich ihrem elitären Kreis vorbehalten bleiben sollte. Keine Einmischung von unerfahrenen, unwissenden, höchst wahrscheinlich sogar ungebildeten Subjekten gestattet. Und wenn, dann kleidet euch wenigstens unseren Ansprüchen entsprechend, bitteschön!

    Kühl und abweisend, das ist der Eindruck, den viele (wie immer nicht ALLE) dieser Herrschaften machen. Und dann fragen mich die Leute, weshalb ich es eher ablehne, Theater oder Klassikkonzerte zu besuchen, mich stattdessen aus dem Radio berieseln zu lassen.
    Jaaa, warum wohl?!

    Will meinen: Stimme voll und ganz zu. *schnauf*

Kommentare sind geschlossen.