Bild: „Meh“ by Rick Harris via flickr (CC BY-SA 2.0)
Während ich das hier schreibe, marschieren tausende Nazis marodierend durch Chemnitz. Die unter dem Hashtag #c2708 zu lesenden Echtzeitberichte lassen erahnen, wie angespannt und gefährlich die Lage vor Ort ist, der Ausgang bleibt ungewiss.
Aber egal, welche Bilder in der zu erwartenden medialen Berichterstattung die Runde machen werden, egal, welche Politiker*innen das Geschehen verurteilen, egal, wie sie das tun und welche Gründe dafür ins Feld geführt werden, wir können uns sicher sein, dass in der Debatte um die Geschehnisse in Chemnitz das Wort „Sachsen-Bashing“ fallen wird. Woher ich das weiß? Es gibt da ein Muster.
Vorkommnis – Kritik – „Sachsen-Bashing!“
Im Zuge der monatelangen öffentlichen Debatte um die montäglichen PEGIDA-Aufmärsche in Dresden seit dem späten Dezember 2014 wurde in der Zeit am 21.08.2015 ein Kommentar unter dem Titel „Dann geht doch!“ veröffentlicht, der den Austritt des Bundeslandes aus der BRD („Säxit“) zur Diskussion stellte. Die Reaktion kam prompt. Noch am selben Tag beschwerte sich die Sächsische Zeitung über die ewig kreisende Sachsenkeule, spricht vom „Ossi-Bashing“ und „Sachsen-Dissen“.
Als im Oktober 2016 ein als suizidgefährdet eingestufter Terrorverdächtiger in einer sächsischen JVA in Untersuchungshaft tatsächlich Suizid beging, fragte sich die mediale Öffentlichkeit, wie das hätte passieren können. Kurz darauf wurde der Begriff „Sachsen-Bashing“ von höchster Stelle gebraucht. Am 22.10.2016 etwa ließ der damalige Generalsekretär der CDU Sachsen – heute übrigens Ministerpräsident – Michael Kretschmer per Pressemitteilung verlauten, dass er sich stellvertretend für die CDU „den Freistaat Sachsen nicht schlecht reden“ lasse und warf dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) vor, dass er sich „zum Kronzeugen für das Sachsen-Bashing“ mache. Der Vorwurf wurde daraufhin bereitwillig in regional und bundesweit erscheinenden Medien verbreitet.
Im März 2017 erschien im Ch. Links Verlag ein von Heike Kleffner und Matthias Meisner herausgegebener Sammelband unter dem Titel „Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen.“ Die darin vertretenen Autor*innen schildern aus unterschiedlichen Perspektiven und auf unterschiedlichen Ebenen ihre ganz eigenen Erfahrungen mit der politischen Kultur und Zivilgesellschaft Sachsens. Zu diesem Zeitpunkt ist der Vorwurf des „Sachsen-Bashings“ schon so weit verbreitet, dass er in diesem Fall lieber vorsorglich ausgeräumt werden sollte. Dass es sich bei Unter Sachsen nicht um anlasslose Herabwürdigung handelt, stellten die Herausgeber*innen im Verlagsblog klar, bei der Buchvorstellung in Leipzig waren es sogar Meisners erste Worte, die er an das Publikum richtete.
Bei der Bundestagswahl 2017 holte die AfD bundesweit 12,6 % der abgegebenen Zweitstimmen. In Sachsen wurde sie sogar zu stärksten Partei. 27,0 % der Zweitstimmen und darüber hinaus noch drei gewonnene Wahlkreise (Direktmandate) machten Sachsen bei der Stimmabgabe bundesweit einzigartig. Wieder fragte sich die Öffentlichkeit, wieso sich ein solches Phänomen ausgerechnet in Sachsen beobachten ließe. Während die einen versuchten, dieser Frage nachzugehen, meldete sich MdB und Fraktionsvize Arnold Vaatz (CDU) zu Wort und kritisiert ein „Sachsen-Bashing, das man sich unter zivilisierten Menschen nicht vorstellen konnte“.
Ein äußerst ergiebiges Beispiel aus jüngster Vergangenheit. Ein Kamerateam der ZDF-Sendung Frontal 21 wurde bei ihrer Arbeit am Rande einer PEGIDA-Demonstration am 16.08.2018 in Dresden von der Polizei festgesetzt und 45 Minuten lang festgehalten. Vorausgegangen war dem eine Anzeige eines Demonstrationsteilnehmers, der sich in seinen Persönlichkeitsrechten dadurch verletzt sah, dass das Team ihn filmte. Wie sich später herausstellte, war der Anzeigensteller ein LKA-Angestellter. Die anschließenden Diskussionen um den Wert der Pressefreiheit und die politischen Neutralität der Behörden in Sachsen fanden in den klassischen wie auch den sozialen Medien statt. Letztere wurden kreativ und schufen mit #Hutbürger und #PEGIZEI griffige Schlagwörter und einiges an satirischem Bildmaterial. Trauriger Höhepunkt der Reaktionen war ein von Robin Alexander verfasster Artikel in der WELT vom 23.08.2018, der schon den Titel „Wer die Sachsen basht, macht die AfD zur Volkspartei!“ trug.
Katalysator: Homonymie
Sachsen ist ein Bundesland, das eine Eigenschaft mit Hessen und Bayern teilt: die Bezeichnungen für Land und Leute sind identisch (es sind Homonyme). Das kann kommunikativ durchaus problematisch werden. Was nämlich gerade gemeint ist, wird nur durch den Anwendungskontext oder bestimmte Indikatoren in Form von Präpositionen oder Numerus des Verbs ersichtlich. Heißt es „schönes Wetter in Sachsen“, ist es klar, dass es um das Land geht. Ähnlich ist es mit dem verwendeten Singular in „Sachsen ist ein Freistaat“.
Nun sind aber typischerweise Überschriften selten ganze Sätze. Ich denke mir so etwas wie „Sachsen: Nachholbedarf bei demokratischen Werten“ aus. Womöglich wird im unmittelbaren Textverlauf dann klar, dass das Land und seine Institutionen und nicht vordergründig die Leute gemeint sind, aber ist da nicht trotzdem diese eine kurze Sekunde, in der das eben nicht so ist? Menschen, die einen positiven Bezug zum Land haben und sich mit diesem identifizieren, fühlen sich zunächst angesprochen. Kurz zwar, aber zu einem entscheidenden Moment. Dieser Anfangsverdacht, dieses Unbehagen und Verletztsein hat Auswirkungen darauf, wie der weitere Text aufgefasst wird. Und gerade bei eigentlich wichtiger und notwendiger Kritik kann das folgenreich sein.
Es ist so eine Sache mit Kritik. Sie zu äußern ist das eine, sie anzunehmen das andere. Und wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen sich ernsthaft mit geäußerter Kritik auseinandersetzen, wenn sie sich angesprochen und (negativ) bewertet fühlen? Und das auch noch zu Unrecht? Ich könnte mir vorstellen, dass das eine zusätzliche Katalysatorwirkung auf emotionaler Ebene entfaltet. Und diese ist bereits vorbelastet. Denn gerade, wenn die Kritik von „extern“ kommt, also bspw. durch ein überregionales/bundesweites Medium getätigt wird, drängt sich der Verdacht einer Einbettung in das klassische Ossi-Narrativ auf. Über viele Jahre hinweg wurde ein recht negatives Bild von den Menschen im Osten der Republik gezeichnet und im Westen verbreitet. Mit dem Wissen im Hinterkopf, potentiell als ungebildet, dumm, faul, undankbar, unmündig oder ewiggestrig gesehen zu werden, lässt sich der Hinweis auf tatsächliche Missstände sicher nur schwerlich dankend annehmen.
Hilfe, sie schlagen uns mit Keulen (argumentativ) tot!
Der Duden kennt mittlerweile das Wort „Bashing„. Laut dessen Onlineausgabe bezeichnet es lediglich „heftige, herabsetzende Kritik“. Interessanterweise scheinen jene, die von „Sachsen-Bashing“ sprechen, nur das mit dem Herabsetzen zu meinen. Denn letztlich versteckt sich hinter dem unironischen Gebrauch des Ausdrucks ein Vorwurf: „Was Du da sagst, dient nicht der (gerne auch heftigen) Kritik, sondern lediglich der Herabsetzung, ist inhaltlich so falsch wie es moralisch verwerflich ist.“
Als kommunikationsstrategisches Manöver ist das nicht neu, schließlich funktioniert die so genannte „Nazi-Keule“ ähnlich (auch „Nestbeschmutzer“ können ein Lied davon singen). Vortrefflicherweise kommt aber das „Sachsen-Bashing“ ganz ohne inhaltliche Festlegung durch einen konkreten Vergleichsgegenstand („Nazi“) aus und hat ein modern anmutendes Gewand bekommen, das als Anglizismus wenig mit archaischen Kampfinstrumenten („Keule“) zu tun hat. So lässt es sich auch wesentlich vielseitiger einsetzen und wirkt zudem noch zeitgemäß.
Für eine Debatte hat das aber weit reichende Folgen. Wenn die eine Seite Kritik äußert und die andere Seite ebendiese als Totschlagargument bezeichnet, dann soll der anderen Seite die Legitimationsgrundlage entzogen werden. Ironischerweise entspricht genau das selbst einem Totschlagargument, da mindestens negative, im schlimmsten Falle sämtliche weiteren Äußerungen unglaubwürdig, da illegitim werden. Was aber, wenn der Gegenstand der Kritik ein wichtiger ist?
In Wirklichkeit ist alles ganz anders. Wirklich!
Damit der Vorwurf des Bashings überhaupt funktionieren kann, muss sichergestellt sein, dass die Äußerung als Kritik untauglich ist. Das wäre einerseits möglich, indem der Modus der Kritik abgelehnt wird (wie dies bspw. beim sog. „tone argument“ der Fall ist). Andererseits ginge es auch, indem der Inhalt der Kritik als falsch und im Kern gegenstandslos enttarnt wird. Zweiteres ist beim „Sachsen-Bashing“ der Fall. Schließlich lautet die Entgegnung ja nicht: „Ja, wir haben ein Problem mit rechtsradikaler Gesinnung in breiten Schichten der Gesellschaft, aber das ist kein Grund, respektlos zu werden“, sondern „SACHSEN-BASHING!“
Durch diese Replik aber, können praktisch alle Bereiche für Kritik unzugänglich gemacht werden. Auf „Sachsen-Bashing“ zu verweisen heißt, sich in der angesprochenen Sache gegen diese zu immunisieren. Und es geht in den genannten Fällen um nichts geringeres als Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, demokratische Teilhabe und Zivilgesellschaftlichkeit. Es ist fahrlässig, unter dem Verweis auf „Sachsen-Bashing“ nicht darüber sprechen zu wollen oder bestenfalls um das Image (des Wirtschaftsstandorts) zu fürchten.
Halten wir also fest: „Sachsen-Bashing“ ist der Vorwurf, dass es der Kritik äußernden Partei in Wirklichkeit nur um Herabwürdigung geht und die Wirklichkeit in Wirklichkeit ganz anders aussieht, als es die Kritik glauben machen möchte. Damit bewegt sich die Entgegnung „Sachsen-Bashing“ etwa auf dem Niveau eines trotzigen: „Gar nicht!“
Das alles heißt natürlich nicht, dass es kein „Sachsen-Bashing“ geben kann. Selbstverständlich kann es das. Eine Herabwürdigung, um der Herabwürdigung willen widerfährt regelmäßig ganz unterschiedlichen Gruppen von Menschen, nicht nur denjenigen, die sich selbst als „Sachsen“ identifizieren. Ich möchte hier nur an die vielen unsäglichen Blondinen-/Frauen-, Ostfriesen-, Beliebige-Ausländer-Witze erinnern, die außer einer Herabwürdigung auch nicht besonders viel zu bieten haben.
Bezeichnenderweise wehren sich damit ausgerechnet jene durch Pauschalisierung, die befürchten, von anderen pauschalisiert zu werden. Anstatt darauf hinzuweisen, dass diejenigen, die Kritik üben, diese – wenn sie sie denn ernst meinen – auch und zuerst an sich selbst richten müssten, wird betont, mutwillig unfair behandelt zu werden. Ich kann mich an keinen einzigen ernsthaften Debattenbeitrag erinnern, in dem tatsächlich allen in Sachsen lebenden Menschen unterstellt worden wäre, Teil eines rechten Lynchmobs zu sein. Oder Asylunterkünfte anzuzünden. Oder einander hitlergrüßend durch die Straßen zu laufen. Soweit ich das überschauen kann, war es immer die institutionelle Struktur, die Adressatin der Kritik wurde, es waren Zustände, die beschrieben und beklagt wurden.
Die entscheidende Frage ist demnach: Ist das, was als „Sachsen-Bashing“ bezeichnet wird, denn tatsächlich welches? Oder wird damit lediglich ein diskursiver Kunstgriff vollführt, der die Auseinandersetzung beendet oder von der einen auf die andere Ebene, nämlich von der sachlichen auf die emotionale, transferiert? Für mich kann ich das mit „nein“ (erste Frage) und „ja“ (zweite Frage) beantworten.