„Polizeigewalt? Gibt’s ja gar nicht!“

CC-BY-SA 2.0 by quinn.anya via flickr.com
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tldr; So lange die Mehrheitsgesellschaft im öffentlichen Diskurs nicht auch nur ansatzweise die Möglichkeit der Existenz des Konzepts „Polizeigewalt“ anerkennt, sind alle Bemühungen um Aufmerksamkeit für das Thema vergebens. Der Nimbus der Institution Polizei in der öffentlichen Wahrnehmung als per se gute, gerechte, unfehlbare, und verlässliche gesellschaftliche Größe muss dafür gebrochen werden. Wie? Uff..

In meinem Geiste habe ich diesen Beitrag schon lange vor mir hergeschoben. Doch das jüngste durch die Medien getragene Beispiel von Gewalteskalationen auf einer Demonstration [TW: Fehlgeburt] hat mich dann doch dazu bewogen, den inneren Schweinehund zu überwinden und mich an die Tasten zu setzen. Anlassbezogen wird seither in den sozialen Medien fleißig darüber geredet. Der letzte anlasslose Versuch, der mir in Erinnerung ist, den Kontrast zwischen der theoretischen Rolle der Polizei mit der praktischen Ausgestaltung dieser Rolle kritisch zu beleuchten und ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, geschah in Form eines Twitter-Hashtags. Unter #DankePolizei wurden – ähnlich wie bei den Aktionen #Aufschrei (Sexismus) und #SchauHin (Nationalismus, Rassismus) – Alltagserfahrungen von Twitter-Nutzer*innen gesammelt und öffentlich zugänglich gemacht. Es dauerte nicht lange, bis eine beträchtliche Anzahl von Tweets zur Erfahrung mit „Polizeigewalt“ zusammenkamen. Es dauerte nicht lange, bis eine beträchtliche Anzahl von Tweets von Kritiker*innen (an der inhaltlichen Position, deren Legitimität, der Aktion, usw.) zusammenkam. Es dauerte nicht lange, bis vereinzelte Medien darüber berichteten, was auf Twitter passierte. Die allseitige Empörung kam, blieb einen Moment und ebbte ab. Ich könnte nicht behaupten, dass das Ziel der Aktion, nämlich das Erreichen einer breiten Öffentlichkeit und dadurch eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, erreicht wurde. Die Frage(n) die sich anschließen sind also folgerichtig: Warum war das so? und Wie könnte es funktionieren?

How-To gesamtgesellschaftliche Diskussion

In einem Diskurs, an dessen Ende ein Ergebnis steht, das nicht die weitere Zementierung der bisherigen Fronten ist, muss mindestens der Wille zur Kooperation aller Diskursteilnehmenden gegeben sein. Das beinhaltet auch, dass die Teilnehmenden sich über die Existenz (oder Nichtexistenz) des Diskursgegenstandes einig sind.

Das ist aber beim Themenkomplex „Polizeigewalt“ auf keinen Fall gegeben. Das zeigt sich vor allem auch darin, wie sich unterschiedliche Akteure auf bestimmte Vorkommnisse beziehen. Genauer: welche Ausdrücke sie verwenden. Wenn es im Zuge von Gewalteskalationen auf politischen Veranstaltungen zur Berichterstattung über diese kommt, ist meistens auch nur von Gewalteskalation, Ausschreitungen oder Zusammenstößen die Rede. Dies sind Ausdrücke, die das bloße Geschehen in den Vordergrund rücken und dabei den situativen Kontext (Wie kam es zur Eskalation? Von wem ging sie aus?) außen vor lässt. Anders verhält es sich aber mit den Ausdrücken/Phrasen konsequentes Handeln, beherztes Eingreifen, festsetzen, Gegenmaßnahmen, Versammlung auflösen, Identität feststellen. Ihnen kommt eine  normative Wertung zu, die, da diese Ausdrücke in Bezug auf die Polizei verwendet werden, auch der Polizei zugeschrieben werden. Allerdings gilt auch hier wieder, dass diese Ausdrücke den situativen Kontext verschleiern oder ihn durch diese (zum Teil euphemistisch verwendeten) Ausdrücke verzerren. Die suggerierte sprachliche Wirkung dahinter bleibt stets die gleiche: „Es ging alles mit rechten Dingen zu.“

Die Polizei, Dein Freund und Helfer

Das ist weiterer Nährboden, bzw. Legitimationsgrundlage für die Auffassung, dass „Die Polizei“ ja gar nicht falsch handeln KANN. Sie ist ja schließlich die Polizei und MUSS das Richtige tun. Dabei zeigt sich schon hier eine große Schwierigkeit bei Diskursversuchen über „Polizeigewalt“: Wer oder was ist denn „Die Polizei“ überhaupt? Für unterschiedliche Diskursteilnehmer*innen ist „Die Polizei“ auch etwas unterschiedliches. Das Bild von der Polizei als „Freund und Helfer“ scheint in der Gesellschaft sehr weit verbreitet zu sein. Kaum verwunderlich, denn es ist anzunehmen, dass die meisten Menschen der so genannten Mehrheitsgesellschaft Entitäten der Größe „Die Polizei“ als genau das wahrgenommen und erfahren haben: Als Freunde und Helfer. Als diejenigen, die nachts angefahren kommen, wenn ein Einbruch bemerkt wurde. Als diejenigen, die schlichtend/ordnend in Verkehrsunfälle eingreifen. Als diejenigen, die unliebsame Gäste vom Grundstück verscheuchen. Schlimmstenfalls als diejenigen, die das eigene Fehlverhalten im Straßenverkehr erfassen und ahnden.

Anders, als sich das „Die Politik“ mit „Der Zivilgesellschaft“ und ihrem „bürgerlichen Engagement“ vorgestellt hat, ist aber auch anzunehmen, dass eben diese Mehrheitsgesellschaft nur äußerst selten auf politischen Veranstaltungen anzutreffen ist, namentlich Demonstrationen. Gut, es sei denn, sie ist unmittelbar betroffen. Aber das ist eine andere Baustelle. Jedenfalls haben wir es mit zwei überschneidungsarmen Gruppen zu tun, die aber beide am gleichen Diskurs teilnehmen sollten: Menschen, die ihre Erfahrung mit der Polizei auf die oben genannten Beispiele beschränken und Menschen, die mit „Die Polizei“ das verbinden, was sie auf Demonstrationen erleben. Für sie bestimmt das Verhalten der Bereitschaftspolizei das, was für sie „Die Polizei“ ist. Während die erste Gruppe eher keine Erfahrungen mir der Polizei der zweiten Gruppe gemacht hat, kennt die zweite Gruppe nahezu garantiert die Polizei der ersten. Und das prägt selbstverständlich die jeweilige Bereitschaft, das Bild von „Die Polizei“ der jeweils anderen  Gruppe als (auch) wahr und legitim anzuerkennen.

„Bedauerliche Einzelfälle“

Tatsächliches Fehlverhalten kann, so scheint es, höchstens bei einzelnen Polizist*innen, niemals aber bei der Polizei als Institution gesucht werden. Das klingt zunächst mal ganz logisch, denn ihr Verhalten willentlich beeinflussen können einzelne Menschen auf jeden Fall, bei Institutionen ist das schon wieder so eine Sache. Aufgrund der Vorprägung der Mehrheitsgesellschaft durch ihre Erfahrung mit (ihrer) Polizei ergibt sich daraus das Weltbild, dass die Polizei als Institution „die Guten“ sind, die stets das Wohl der Bevölkerung und der Menschen, die sich hilfesuchend an sie wenden, im Auge haben. Die dankbarerweise für Recht und Ordnung sorgen, die die Gesellschaft vor (kriminellem) Übel bewahrt.  Sollten sich einzelne Polizist*innen dem entgegengesetzt verhalten, steht dies natürlich im Widerspruch zu dem wie oben beschriebenen, konstruierten Weltbild. Um diese kognitive Dissonanz aufzulösen, hilft die Verschiebung der Analyseebene: Nicht die Institution ist fehlerhaft, sondern das Verhalten einer einzelnen Entität dieser. Vereinfacht gesprochen ist nicht „Die Polizei“ schlecht, sondern ein*e Polizist*in. Schwarze Schafe gibt es ja schließlich überall, Ausnahmen bestätigen die Regel, etc. Was am Ende steht, wenn bspw. eine Ku-Klux-Klan-Mitgliedschaft eines Polizeimitglieds durch die Medien geistert, ist die Bewertung als „bedauerlicher Einzelfall“. Und weil es eben auch viele Polizist*innen gibt, gibt es halt auch viele „bedauerliche Einzelfälle“.

„Selber schuld!“

Sollte es doch einmal ein bedauerlicher Einzelfall in die kritische Berichterstattung schaffen, treten meist weitere Exit-Strategien in Erscheinung, die besagte kognitive Dissonanz beseitigen sollen.  Eine seht beliebte Strategie ist dabei das Victim Blaming: Meschen, die belegbar durch Gewalteinwirkung der Polizei zu Schaden gekommen sind, wird selbst die Schuld daran gegeben. Traurigerweise bedeutet eine auf diese Weise geklärte Schuldfrage für die Mehrheitsgesellschaft dann auch, dass jedes Mitgefühl, jede Empathie und jede Solidarität mit dem „Opfer“ undenkbar und illegitim wird. Die krasseste Form der Täter-Opfer-Umkehr findet sich oft in Form einer Rechtfertigung für die eigene (politische) Apathie: „Was geht $Mensch auch Demonstrieren? $Mensch müsste doch wissen, dass so etwas passieren kann.“ Der Schaden, den die Person für ihre Teilnahme an einer Demonstration erlitten hat, hat sie somit nicht nur selbst zu verschulden, sondern ihr wird auch noch eine an Dummheit grenzende Irrationalität vorgeworfen, weil sie sich vermutlich trotz besseren Wissens in eine Gefahrensituation begeben hat (Ich hoffe, dass es an dieser Stelle nicht notwendig ist, zu erläutern, was für eine politische Fahrlässigkeit es in einer Demokratie ist, wenn grundsätzlich jede Teilnahme an einer Demonstration verpönt ist und stets das eigene Wohlbefinden und die eigene Bequemlichkeit schwerer wiegen als politische Teilhabe).

Eine andere Form des „selber schuld!“-Vorwurfs ist das Berufen auf ein Rollenklischee. Das Rollenklischee der Polizei lautet: „Die Guten“ als „Freund und Helfer“. Wenn gilt, dass „Die Polizei“ „Die Guten“ sind, bedeutet das im Umkehrschluss, dass „Nicht die Polizei“ auch „nicht die Guten“ sind. Teilnehmende an Demonstrationen werden häufig a priori als Chaoten, Krawalltouristen, Steineschmeißer, etc. diffamiert. Bei der durch diesen Ausdruck suggerierten normativen Wertung der damit bezeichneten Menschen erscheint es dann nur recht und billig, wenn nicht sogar notwendig, dass „Die Polizei“ härter durchgreift. Der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Und wenn der Zweck „Recht und Ordnung“ (also „Ruhe im Karton“) ist, dann kann das Mittel ja auch ruhig zweitrangig sein.

Die einzige Ausnahme, die mir spontan einfällt, bei der tatsächlich von Seiten der Mehrheitsgesellschaft das harte Vorgehen der Polizei öffentlich wirksam kritisiert wurde, ist der Schwarze Donnerstag der S21-Demonstrationen. Das Wort Verhältnismäßigkeit tauchte hier auf. Unverhältnismäßig sei der Polizeieinsatz gewesen, da er friedlichem   Protest mit nicht friedlichen Mitteln begegnete. Etwas, das auch oftmals von jenen als Kritikbestandteil vorgebracht wird, die über Polizeigewalt – und eigene Erfahrungen damit – berichten.  Während am Schwarzen Donnerstag aber Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft betroffen waren, ist das bei „den üblichen Verdächtigen“ auf anderen Demonstrationen nicht so. Ergo verhallt auch der Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit ungehört.

Also?

Allein die Verwendung des Ausdrucks Polizeigewalt macht schon die eigene Haltung, die eigene Weltsicht offenbar, da es diese für die Mehrheitsgesellschaft nicht geben kann. Und hier liegt auch schon ein Teil des Problems: Polizeigewalt ist – in den Augen und Ohren der Mehrheitsgesellschaft – ein gegen sie selbst gerichteter Kampfbegriff. Wenn ein Mensch von Polizeigewalt spricht und es dabei ernst meint, sagt er schon, dass er nicht die Weltsicht teilt, dass „Die Polizei“ automatisch unfehlbar und gut ist. Damit fällt er automatisch in die Aggressor-Rolle, da er ja einer von denen sein muss, die auf Demonstrationen gehen, dort Stress suchen und sich dann noch über die von ihnen selbst provozierte Reaktion der Polizei beschweren.

Dass die mutwillige, gezielte Umbesetzung eines Begriffs (Änderung seines Referenzobjekts oder dessen normativer Wertung) innerhalb einer Sprachgemeinschaft schwierig bis nahezu unmöglich ist, sollte klar sein. Es sollte aber auch klar sein, dass es keine gesamtgesellschaftliche Diskussion über „Die Polizei“ geben kann, wenn nicht die gesamte Gesellschaft – oder zumindest weite Teile – an dieser teilnehmen.  Und hier liegt die große Schwierigkeit: Wird der Kontrast zwischen dem Rollenklischee der Polizei und ihrem tatsächlichen Verhalten in unterschiedlichen situativen Kontexten mit dem Ausdruck Polizeigewalt bezeichnet, führt das zu Identifikationsreflexen der Mehrheitsgesellschaft mit eben jener Polizei – die Bereitschaft ihrerseits, das, was Polizeigewalt bezeichnen soll, als theoretisch möglich und faktisch existent anzuerkennen, rückt in weite Ferne. Wie es besser geht? Ich weiß es nicht. Leider nicht. Aber ich weiß, dass die verabsolutierte „Freund und Helfer“-Denke einer Debatte im Weg steht, die es wert wäre, geführt zu werden.

p.s.: Ob der zu erwartenden Brisanz des behandelten Themas habe ich mich dazu entschlossen, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Ich weiß, dass ich als einzelnes Individuum nicht in der Lage gewesen sein werde, mich völlig unvoreingenommen und erschöpfend mit der Materie auseinanderzusetzen. Über die Social-Media-Buttons kann aber zumindest rudimentär reagiert – zum Beispiel Zustimmung ausgedrückt – werden.

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

Ein Gedanke zu „„Polizeigewalt? Gibt’s ja gar nicht!““

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