tl;dr Die Straßenpräsenz der Bildungsplangegner*innen ist nicht auf bürgerschaftliches Engagement zurückzuführen, sondern auf die Mobilisierungsfähigkeit und -Erfahrung rechter und rechtspopulistischer Gruppierungen.
Gestern (01.03.2014) war ich in in Stuttgart zugegen, als mehrere hundert der so genannten „Bildungsplangegner“ sich dazu getroffen haben, das zu tun, was ihr Name suggeriert: Gegen den Bildungsplan sein. Für Menschen, die nicht linksunten in Deutschland leben, hier mal ein bisschen Text zum Hintergrund. Worum es mir hier gehen soll, ist keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Standpunkten und „Argumenten“ der Bildungsplangegner*innen und auch nicht um den durchaus diskussionswürdigen, massiven Polizeieinsatz, der mit der Demonstration einherging. Viel wichtiger ist es mir hier, den Blick auf die eigentliche Demonstration zu richten, also das WER und WIE des Ganzen zu beleuchten.
Ich wusste nicht so wirklich, worauf ich mich eingelassen hatte, als ich zustimmte, als Teil einer kleinen Reisegruppe nach Stugges zu fahren. Klar, ich wusste, dass dort die so genannten Bildugnsplangegner eine Demonstration angemeldet hatten und es eine entsprechende Gegendemo geben sollte, an der wir teilzunehmen gedachten. Erwartet hatte ich einen lauten, aber überschaubaren Haufen christlicher Fundamentalisten, die eben bereit waren, ihren Samstag einer Single-Issue-Kundgebung zu opfern und breite, zivilgesellschaftliche Bündnisse, die sich dem entgegenstellen wollten. Beide Erwartungen sollten enttäuscht werden.
In Stuttgart angekommen bahnten wir uns unseren Weg durch mehrere Trauben von Polizist*innen in Kampfmontur, die bereits am Bahngleis viele Menschen in Empfang nahmen und daran hinderten, ihren Weg fortzusetzen. Wir konnten dem entgehen und das Bahnhofsgebäude verlassen. Auf der Königstraße stießen wir auf einen Infostand in Regenbogenoptik, wo wir uns erst einmal erklären ließen, wie wir zur Gegendemo kommen würden. Unter dem Hinweis, dass die Bildungsplangegner sich massig Unterstützung von Pietist*innen aus der Schweiz geholt hätten, wurde uns der Weg erklärt, den wir auch zügig antraten. Während meine Reisegruppe in einen Polizeikessel geriet, hielt ich mich bis zu Beginn des Demonstrationszuges am Kundgebungsort, dem Schlossplatz, auf. Dort konnte ich mir die Zusammensetzung der Bildungsplangegner genauer anschauen.
Zuallererst hat mich deren Stückzahl, gemessen an der von mir wahrgenommenen Gegendemo, überwältigt. Zuletzt hatte ich irgendwo die Zahl 800 gelesen. Erscheint mir zwar ein bisschen hoch, aber es waren deutlich mehr als 300 Menschen, die sich dort versammelt haben. Neben den erwartbaren Plakaten (AfD) haben mich dann doch sehr viele Schild gewordene Befindlichkeiten wirklich schockiert. Besonders die Verwendung des Gender-Begriffs zur Feindbildkonstruktion war unübersehbar. Ergüsse wie „Gender = seelische Vergewaltigung unserer Kinder„, „Stoppt den Genderwahn!“ und „Keine Gender-Indoktrination!“ waren über den Köpfen der Menschen zu lesen. Wiederkehrendes und dominantes Topos war jedoch die „Es geht um die Kinder“-Schiene. Das manifestierte sich in diversen Sprechchören („Kinder brauchen Liebe, keinen Sex!„; „Schützt unsere Kinder!„; „Finger weg von unseren Kindern!„) und Demoschildern („Lasst unseren Kindern ihre Kindheit!„; „Lasst unsere Kinder mit reinem Gewissen aufwachsen!„; „Kinder haben ein Recht auf Mama und Papa!„; „Gegen die Zwangsindoktrination unserer Kinder!“ u.v.m.). Nebst diversen, aber die Minderheit bildendenden, auf christlicher Sexualmoral basierenden Protestschildern war als beliebtes Motiv ebenfalls – warum auch immer – Pädophilie vertreten („Pädagogik statt Pädo-Logik!„; „Liebe für alle? Was kommt als nächstes? Pädophilie, Zoophilie…„; „Die Grünen – Wieder Pädo-Partei“ u.v.m.).
Vieles davon, was die Demonstration verbalisierte, wirkte auf mich wie ein buntes Allerlei aller denkbaren (Negativ-)Assoziationen, Ressentiments und Befindlichkeiten, die sich eins nur vorstellen kann, wenn es um die gelebte Gleichstellung unterschiedlicher Lebensentwürfe geht. Ähnlich wie bei der Feminismus™-Diskussion, scheint viel des Gegenwinds daher zu rühren, dass hinter Gleichstellungsbemühungen eine Art Revanchismus erwartet wird. Wenn die Erreichung eines Zustands von Gleichwertigkeit eben bedeutet, dass zuerst Strukturen aufgebrochen werden müssen, die eine privilegierte, „normale“, de facto vorherrschende Ausprägung hervorbringen und erhalten, wird das, so glaube ich, oft als erster Schritt zu einer Umkehr des Spießes begriffen. Es scheint mir so, als seien besagte Kritiker*innen nicht in der Lage, die Normal-und-damit-gut-versus-unnormal-und-damit-schlecht-Dichotomie zu hinterfragen und zu überwinden, so als nähmen sie diese als eine Art soziales Naturgesetz wahr. Aber ich schweife ab…
Dafür, dass Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen sich damit rühmten, aus der Mitte der Gesellschaft zu stammen und für ihre Interessen zu sprechen, erschien mir aber einiges reichlich atypisch. Zum Beispiel die (verbale) Aggressivität (s.o.), mit der der Protest ausgedrückt wurde. Zum Beispiel die Taktik, das eigene Anliegen so zu formulieren, dass eins dieses nicht kritisieren kann, ohne sich selbst zu diskreditieren und den eigenen Standpunkt zu delegitimieren (Vergleich: Naziaufmärsche, die die Todesstrafe für Kinderschänder fortdern). Zum Beispiel die Tatsache, dass die Demonstration immer wieder die Polizei dazu aufrief, die Blockadeversuche der Gegenseite gewaltsam zu unterbinden („Räumen! Räumen! „, wie ich es nur von Nazidemos kenne). Zum Beispiel, dass beliebte Strategien der politischen Rechten eingesetzt werden, um die eigenen Standpunkte zu legitimieren, allen voran der Inflationäre Gebrauch von Wörtern wie Wahrheit, Meinungsfreiheit und Toleranz. Zum Beispiel, dass zahlreiche lautstarke und engagierte Bildungsplangegner*innen keineswegs der bürgerlichen Gesellschaftsmitte zugerechnet werden konnten: Einige davon waren Bannerträger für pi-news, andere wurden von anwesenden Antifa-Aktivist*innen als überregional bekannte Nazis enttarnt, wiederum andere zeigten offen ihre Zugehörigkeit zu NPD und JN. Zum Beispiel, dass davon auszugehen ist, dass bei Weitem nicht alle Demonstrationsteilnehmer*innen aus Baden-Württemberg stammten: Bei den „üblichen Verbalpöbeleien“ zwischen beiden Seiten waren aus den Reihen der Demonstration überdurchschnittlich viele Menschen mit starken Akzenten einer überdurchschnittlichen Bandbreite wahrzunehmen – viele Teilnehmer*innen wirkten auf mich, als würde sich ihre Deutschkenntnisse tatsächlich auf die skandierten Parolen begrenzen. Jedenfalls sei an dieser Stelle auch angemerkt, dass es mich enorm gestört hat, dass genau diesen Menschen von der Seite der einiger Gegendemonstrierenden aus der bürgerlichen Mitte nicht selten rassistisch begegnet wurde („Du bist ja noch nicht mal von hier!„; „Geh‘ doch wieder nach Russland!„; „Bei Putin dürftest Du noch nicht mal auf die Straße!„; „Lern‘ erst mal Deutsch!„).
Alles in allem wirkte das auf mich enorm befremdlich. Dafür, dass sich da die so genannten besorgten Bürger – oder in diesem Falle eben Besorgte Eltern – als politische Laien in eine einzelne Policy(-Diskussion) einbringen, hatte ich zu sehr den Eindruck, dass Mobilisierung für die und die Durchführung der Demonstration eine Spur zu professionell war. Aktionsformen und -strategien erinnerten mich dafür zu stark an das, was üblicherweise von der äußersten Rechten kommt. Besonders auch die geäußerte Wut auf das (politische) Establishment und den (politischen) Mainstream scheint ein willkommenes Einfallstor für rechte und rechtspopulistische Gruppierungen zu sein, um in der Zivilgesellschaft diskutierte Themen zu besetzen und die sich gerade eben erst organisierenden Bürger*innen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Die offensichtliche Anwesenheit eben jener Gruppierungen spricht dagegen, dass es sich dabei um den – nach Selbstauffassung – harmlosen, berechtigten und breit gefächerten Bürgerprotest handelt, den er zu sein vorgibt.