Die Stadt Leipzig, Twitter und *istische Hufeisen

Bild: CC BY 2.0 De Havilland

[tl;dr] Trotz einer auf allen Ebenen  von einem massiven Rechtsruck gezeichneten Atmosphäre, schafft es die Stadt Leipzig mit erschreckend wenig Aufwand, dennoch „der Feind steht links“-Rhetorik an den Tag zu legen.

Kürzlich erst wollte ich mich der Sezierung eines unglaublich miesen Polizeiberichts widmen, da ist mir das – lesenswerte – Sprachlos-Blog in der Veröffentlichung zum Thema zuvorgekommen. Das soll mir nicht noch einmal passieren. Daher nun hier und heute meine Auseinandersetzung mit einer ganzen Reihe anderer, durchaus problematischer Verlautbarungen. Diesmal kommen Sie nicht von der Polizei, sondern von der Stadt Leipzig.

Kommunikativ scheint es Kommunen immer vor dieselbe Herausforderung zu stellen, wenn auf ihren Straßen Nazis Demonstrationen anmelden. Einerseits ist da das Bestreben, sich möglichst klar von den zu demonstrierenden Meinungen zu distanzieren (soll ja ganz schlecht für das Image sein, wenn eins da in Verruf gerät), während aber andererseits eine überparteiliche, fest auf dem Boden der FdGO stehende Haltung gewahrt werden will. Zugegeben, nicht immer ganz einfach.

Besonders interessant verlief diesbezüglich die Kommunikation der Stadt Leipzig in Bezug auf die für den 18.03.2017 angemeldete Nazi-Demo. Von der Betrachtung ausklammern möchte ich an dieser Stelle die im Vorfeld geführten Diskussionen unterschiedlichster Akteur*innen – Polizei, Medien, Initiativen, Bündnisse etc. Ebenfalls möchte ich auch nur die Verlautbarungen der Kommune auf Twitter berücksichtigen, genauer gesagt eine Serie von vier Tweets, die bei näherer Ansicht weit mehr verraten als sie auf den ersten Blick zu sagen scheinen.

„Werd erwachsen!“

Tweet1:

Vor ein erstes Rätsel stellt uns hier die Verwendung des Namens „Leipzig“. Meint damit die Stadt Leipzig – also die Kommune als Verwaltungseinheit – sich selbst? Spricht sie damit pars pro toto für die gesamten Einwohner*innen der Stadt? Wenn ja, für alle oder nur für einen Teil, z.B. die Mehrheit, davon? Wer oder was nun auch immer dieses Leipzig sei, in dessen Ansicht ist Gewalt jedenfalls ein Fetisch. Schließlich wird davon geträumt, fabuliert, sie wird herbeigesehnt und dementsprechend letztlich auch ausgeübt. Auch wird hier klar, wer oder was Gewalt anwendet: unreife, unselbstständige, altkluge Menschen, hier: Kinder („infantil“). Richtige, reife, erwachsene Menschen ächten selbstverständlich Gewalt. Damit bedient die Stadt Leipzig das Narrativ von den häufig minderjährigen „Krawalltouristen“. Darüber hinaus lässt diese Formulierung auch Rückschlüsse darauf zu, dass Gewalt ein Phänomen ist, zu dem nur bestimmte Gruppen überhaupt fähig sind – diese Äußerung verneint nämlich ebenfalls die Existenz von so etwas wie Polizeigewalt. Bemerkenswert ist hieran auch, dass über die Verwendung von „Mutti“ deutlich gemacht wird, wessen Aufgabe die Erziehung des Nachwuchses aus der Sicht der Stadt Leipzig ist. So vong Geschlechterrolle her. Aber das ist wohl der Preis dafür, auf Twitter möglichst cool und souverän wirken zu wollen…

„Na? Wo steht noch gleich der Feind? Achja…“

Ein paar Tage zuvor erst wurden in München Mitglieder der OSS wegen Bildung einer (rechts-)terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen, die sich regelmäßig vor den Toren Leipzigs trafen, da scheint das Problem mit den Rechten – zumindest regional – gebannt. Also kann sich die Stadt am Tag des Nazi-Aufmarsches darauf zu besinnen, wer oder was das eigentliche Problem daran ist. Richtig, die Gegendemonstrant*innen! Hintergrund dieses Tweets der Stadt ist die Tatsache, dass nun schon zum zweiten Mal gefälschte Sperrmüllaufrufe im Einzugsbereich einer rechten Demo aufgetaucht sind, die die Versorgung mit Material zum Barrikadenbau sicherstellen sollte. Bemerkenswert, dass diese Information unter Verwendung des Demohashtags geteilt wurde und bis zu diesem Zeitpunkt auch noch eine Distanzierung der Stadt von rechts, zumindest auf Twitter, auf sich warten ließ.

Zivilcourage – eine bürgerliche Tugend

Immerhin kam dann doch noch so eine Art Distanzierung. Also mit Phantasie. Also eigentlich nicht. Geteilt wurde nicht etwa ein kurzes, knackiges 140-Zeichen-Statement gegen Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, sondern der Aufruf des Oberbürgermeisters, doch bitte friedlich zu bleiben. Doch nicht nur das, auch der Mitbürger und der Mitdemonstrant (generisches Maskulinum) sollen in ihrer Friedfertigkeit überprüft und ggf. korrigiert werden. Die Frage danach, was nun eigentlich mit den Nazis ist (oder sein sollte), bleibt auch hier unbeantwortet. Diese spezielle Form der Zivilcourage scheint jedenfalls irgendetwas mit dem Status als Bürger („Mitbürger“) zu tun zu haben.

Und täglich grüßt das Hufeisen.

Am Tag danach wird deutlich, dass die Sorgen der Stadt unbegründet waren. Es ist gar nichts passiert. Auch hier schimmert durch, dass aus Sicht der Kommune das eigentliche Problem nicht etwa der Aufmarsch von mehreren hundert Rechten in der eigenen Stadt ist. Das Problem sind die, die dagegen protestieren. Die, die machen, dass es „unruhig“ ist oder werden könnte. Als Negativfolie für die Kommunikation bzgl. des 18.03. dienen hier offensichtlich die letzten Ausschreitungen am Rande einer rechten Demo in der Südvorstadt, nicht aber der gezielte Angriff von Rechten auf Connewitz.

Der Oberbürgermeister spricht diesem ominösen Leipzig (s.o.) dann noch seinen Dank dafür aus, dass es „Extremisten keinen Raum gegeben“ hat. Ich verzichte hier auf den soundsovielten Exkurs zur Kritik am Hufeisentheorem, möchte aber darauf verweisen, dass ich den Rückgriff auf selbiges hier bezeichnend finde. Worauf bezieht sich Burkhardt Jung, wenn er sagt, „Extremisten“ hätten am 18.03. keinen Raum in Leipzig erhalten? Ist Anlass dieser „Erfolgsmeldung“ das Ausbleiben größerer Eskalationen? Haben die hundertquietsch Nazis, die unbehelligt durch Leipzig gestapft sind, etwa keinen Raum erhalten?

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.