Wo bleibt das Bio-Siegel für Medien?

Man möge mich erklären lassen: es geht mir hier nicht in erster Linie darum, dass tatsächlich Medien nach ihrer okölogischen Nachhaltigeit sortiert und entsprechend mit einem Siegel versehen werden. Eigentlich noch nicht einmal in zweiter Linie, obwohl der Gedanke nicht ganz abwegig ist. Nein, ich möchte damit eigentlich nur die Hoffnung darauf äußern, dass sich im Medienkonsum der Menschen ähnliche Entwicklungen abzeichnen und vollziehen könnten, wie im Lebensmittel- und Gebrauchsgüterkonsum…

 

Sobald man als Kind das erste Taschengeld in Händen hält, ist früher oder später eine Antwort auf folgende Frage fällig: „Warum kostet Produkt abc eigentlich Betrag xyz?“ Die oftmals irritierten Eltern erläutern dass dan meist in mehreren Stufen. Die erste Stufe berücksichtigt die Herstellungskosten. Das leuchtet dem Kind ein, denn dass jemand, der etwas verkauft, auch daran verdienen möchte – im Idealfall mehr, als er zur Herstellung des Gutes hat aufwenden müssen – ist nicht allzu weit von seiner eigenen Lebensrealität entfernt. Die nächste Stufe kommt meist erst Jahre später. Wenn überhaupt. Dann geht es nämlich um Marktgesetzmäßigkeiten. Ihr wisst schon, Angebot und Nachfrage und so. In den seltensten Fällen erreichen Eltern in ihrer Erklärung dann die Sphären des Vergleichs verschiedener Wirtschaftssysteme. Aber das ist hier auch gar nicht wichtig. Mir geht es um die Marktgesetzmäßigkeiten.

Also hat der Marktteilnehmer in spe nun gelernt, was es mit Angebot und Nachfrage auf sich hat. Er verinnerlicht dann auch schnell – mehr oder weniger bewusst -, dass seine Kaufaktivitäten durchaus wahrgenommen werden und eine Nachfrage erzeugen. Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren auch das bewusste Verinnerlichen dieses Sachverhalts durchgesetzt. Noch nicht vollständig. Auch noch nicht flächendeckend. Aber immerhin. Den meisten Leuten ist heute bewusst, dass sie mit einer Kaufentscheidung weit mehr tun, als bloß zu konsumieren. Sie alimentieren damit die Herstellungsbedingungen des Produktes und dessen ökologische und soziale Implikationen.

Ein Bewusstsein dieses Umstände drückt sich dadurch aus, dass Bio-Läden in allen größeren Städten zu finden sind, Supermärkte gezielt nachhaltige Produkte vertreiben und selbst Discounter(!) erkannt haben, dass sich da eine Käuferschicht kräftig verändert. Schließlich hat ja jetzt auch jeder Discounter seine eigene Bio-C-Marke. Zwar stellt sich mir als Verbraucher doch die Frage, wie der Herrsteller am Markt überleben kann, wenn er einerseits einen unverschämt niedrigen Preis für sein Produkt verlangt, andererseits aber garantiert (oder zumindest vorgibt), für soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu sorgen. Aber ich schweife schon wieder ab.

Wer Kaufentscheidungen bewusst für das eine oder andere Produkt treffen möchte, tut das also entweder an einem dezidierten Ort (Bio-Supermarkt) oder orientiert sich dabei am Bio-Siegel. So weit so gut. Leider beschränken sich viele Verbraucher aber auch „nur“ auf Lebensmittel. Langsam greift dieser Trend auch auf die Textil-Branche über und die Leute begreifen, dass ein T-Shirt für 2,50€ bestimmt nicht so hergestellt worden ist, dass man sich an helllichtem Tage ruhigen Gewissens damit zeigen könnte, ohne als Unmensch zu gelten. Bei Gebrauchsgütern keimt das auch langsam auf, allerdings spielen da oft noch Qualität des Produkts und der dazugehörigen Serviceleistungen mit hinein.

Es ist also durchaus zu begrüßen, dass der kauffreudige Michel langsam aufwacht und etwas weitsichtiger handelt. In einem Punkt aber, scheint er es so gar nicht zu tun: in seinem Medienkonsum nämlich. Sicher, er hat ja schon gelernt, dass das die Nachfrage das Angebot bestimmt (An all die BWLer da draußen: Ja, ich kenne das Say’sche Theorem). Aber dass das auch auf den Konsum abstrakter Güter Anwendung findet…das zu begreifen fällt ihm durchaus schwer. Wie ich zu dieser Aussage komme? Nun, dazu genügt eigentlich ein Blick in ein beliebiges, weit verbreitetes Medium. Nein, nicht die BILD, darüber habe ich mich ja bereits ausgekotzt. Vor allem Online erschlagen einen bis ins Unermessliche aufgebauschte und dramatisierte Meldungen über Banalitäten. Und diese Banalitäten müssen noch nicht einmal im weitesten Sinne etwas mit dem Boulevard zu tun haben. Da werden Umfragewerte einer Partei zu Entscheidungen über Leben und Tod, Verkehrsunfälle zu unüberwindbaren Tragödien, Fußball und Sex zu den angesagtesten Themen überhaupt, egal, ob diese auch nur peripher vom Artikel gestreift werden, oder nicht.

Die Tatsache, dass Berichterstattung dieser Art angeboten wird, lässt vermuten, dass sie auch konsumiert wird. Und zwar entsprechend häufig, um so ihre Existenz wirtschaftlich zu sichern. Natürlich beschweren sich die meisten, wenn man sie darauf anspricht, darüber, dass über so viel Unwichtiges berichtet wird und die Berichte selbst in einer unterirdischen Qualität in den Äther gerotzt werden. Aber welche Konsequenzen zieht daraus jeder einzelne für sein Handeln? Eben. Meistens gar keine. Alles bleibt beim alten, man meckert in regelmäßigen Abständen, installiert einen Werbeblocker und fertig ist der Lack. Aber halt, Moment, war da nicht was? Hieß es nicht gerade eben noch etwas in die Richtung von „er hat gelernt, dass seine Nachfrage mehr als nur Konsum impliziert“?

Hier leider nicht. Folgerichtig müsste er das Medium boykottieren, oder ihm zumindest verbal Handlungsanweisungen aufzeigen, die dazu führen würden, dass er in seiner Rolle als Konsument auch weiterhin gewillt ist, das Produkt zu konsumieren. Einfach einen Werbeblocker installieren tut es nicht. Denn auch, wenn der geneigte Surfer keinen Cent für die Einsicht in diverse Artikel bezahlt, er alimentiert sie doch. In den meisten Fällen finanzieren sich solche Angebote über Werbeanzeigen. Der Preis für diese Werbeanzeigen richtet sich danach, wie viele Menschen von ihnen potentiell erreicht werden; also den Besucherzahlen der Seite. Und egal, ob man nun einen Werbeblocker installiert hat oder nicht, als Besucher wird man gezählt. Man stärkt somit die Verhandlungsposition des Mediums gegenüber dem Werbesponsor, um Anzeigenplatz für mehr Geld verkaufen zu können. Das führt dazu, dass das Medium so lange nicht gezwungen ist, seine Berichterstattung zu ändern (oder auch nur über sie nachzudenken), wie ausreichend Leute die Seite besuchen, auf der sie veröffentlicht wird. Und was ändert sich dadurch? Richtig: nichts. Wieso sollte das Medium auch nur den Hauch einer Kleinigkeit verändern, wenn es merkt, dass es mit dem, was es macht und wie es es macht, Erfolg hat?

Es kann ja kein Zufall sein, dass die meisten Menschen, die am öffentlichen Diskurs teilnehmen, wider der eigenen Einschätzung, oft nur spärlich informiert sind. Das hängt natürlich (auch) mit deren Medienkonsum zusammen. Da die meisten Medien gezwungen sind, sich den marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen, um ihre Existenz zu sichern, müssen sie – ob sie wollen, oder nicht – einen gewissen Absatz erzielen. Diesen erreichen sie dadurch, dass sie anbieten, was sich verkaufen lässt. Und das ist in aller Regel aufregend, bunt, dramatisch, tragisch. Bezogen auf Unterhaltung ist das die eine Sache. Bezogen auf Nachrichten über relevante Themen für den öffentlichen Diskurs ist das aber pures Gift. Durch seine Nachfragen führt sich der Konsument wieder zurück in die selbstverschuldete Unmündigkeit (CC BY-SA Immanuel Kant). Denn leider sind die relevanten Themen, die uns im Alltag beschäftigen (sollten) nicht aufregend, bunt, dramatisch und von Haus aus tragisch. Werden sie aber zu dem gemacht, werden sie inhaltlich verfälscht. Neil Postman hat es in „Wir amüsieren uns zu Tode“ schon sehr treffend beschrieben, wie sich ein übersteigerter Medienkonsum von Trivialitäten auf den öffentlichen Diskurs auswirkt. Und dabei hatte er nur das Fernsehen im Blick! Ich möchte nicht wissen, was er über das Web 2.0 geschrieben hätte, hätte er es denn in seiner heutigen Form erlebt. Wenn also die Medien den Gesetzen des Marktes unterworfen sind, ist hier wieder der Verbraucher gefragt.

Deswegen wünsche ich mir, dass bezüglich des Medienkonsums die Leute in ähnlicher Weise ein Bewusstsein entwickeln würden, wie es bei Lebensmitteln der Fall ist. Dann würde nämlich innerhalb des Marktes schon bald ein Paradigmenwechsel in diversen Angeboten stattfinden. Schließlich orientieren sich die meisten am Marktführer, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen. Dann würden die Anbieter begreifen, was sie ihren Konsumenten vorsetzen müssen, um weiterhin von ihnen alimentiert zu werden. Dann würden sie versuchen den potentiellen Kunden, möglichst offensiv von der Unbedenklichkeit ihrer Produkte zu überzeugen. Dann gäbe es garantiert ein Bio-Siegel für Medien.

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.