One Billion Rising: Heidelberg

IMAG0148Ein Erlebnis- und Gedankenbericht eines Teilnehmers, also meiner Wenigkeit. Damit ist das generische Maskulinum gar nichts so generisch, wie es im ersten Moment den Anschein hat…

Ich war lange unschlüssig, ob ich überhaupt hingehen sollte. Im Vorfeld hatte ich nur mitbekommen, dass die Grünen ne Demo gegen Sexismus veranstalten würden. Erst in den letzten Tagen bin ich dann über das Konzept von One Billion Rising gestolpert, einer weltweit für den 14.02. geplanten Aktion gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen. Grüne hin oder her, mich hat es gefreut, dass sich offensichtlich auch in Heidelberg Leute gefunden haben, die etwas auf die Beine stellen wollten, um Teil dieses weltumspannenden Happenings zu sein. Um sich ein wenig für die #aufschrei-Debatte zu engagieren, ließen es sich @Adlerohren und ich dann doch nicht nehmen, bei flauschigen Temperaturen um den Gefrierpunkt zum Uniplatz zu latschen.

Was uns dort genau erwarten würde, wussten wir immer noch nicht. Für uns stand nur fest, dass wir die Kurve kratzen würden, sobald wir den ersten brennenden BH entdecken. Vom nicht mehr ganz zeitgemäßen Schwarzer-Feminismus halten wir dann doch beide herzlich wenig. Als wir die Hauptstraße dann in Richtung Uniplatz verließen, erwarteten uns dort schon mehrere hundert (potentielle) Teilnehmer und mehrere Polizeibeamte. Alle umsäumten einen mit großen Lautsprecherboxen beladenen LKW mit ohne Plane, der wie das Epizentrum dessen wirkte, was noch kommen sollte. Anhand der Gespräche und Infomaterialien um uns herum konnten wir schnell feststellen, dass es heute auch darum gehen würde, tänzerisch ein Zeichen gegen Sexismus zu setzen. Ich finde zwar, dass ich doch eher wie eine Mettwurst tanze, aber prinzipiell finde ich diese Form des Protests durchaus originell. Hat schon einen gewissen 68er Agitprop-Flair.

Nachdem sich das bunte Protestvölkchen, das aus einen Querschnitt durch alle Altersklassen bestand, hinreichend gesammelt hatte, begann Europa-Abgeordnete Dr. Franziska Brantner (Bündnis90/Die Grünen) mit einer betont kurzen Ansprache, in der sie in knappen Worten noch einmal darlegte, worum es heute gehen sollte. Man wolle durch Tanz und laute Musik ein „Zeichen gegen sexuelle Gewalt an Frauen“ setzen. Sie erwähnte auch kurz, dass jede dritte Frau in ihrem Leben die Erfahrungs (sexueller) Gewalt machen würde. Nach dieser kurzen Einleitung kam noch eine Dame eines Heidelberger Frauenvereins zu Wort, die – wenn auch nicht ganz so redegewandt wie Frau Brantner – dazu aufrief, „Sexismus gegen Frauen“ nicht weiter hinzunehmen und „ein Zeichen dagegen zu setzen.“

Ca. 250 Teilnehmende zählte die Demonstration zum Aktionstag "One Billion Rising" in Heidelberg
Ca. 250 Teilnehmende zählte die Demonstration zum Aktionstag „One Billion Rising“ in Heidelberg

Ohne weitere Umschweife wurden wir und der seit geraumer Zeit fleißig filmende SWR dann Zeuge(n) der eigentlichen Darbietung: alle Teilnehmer waren dazu aufgefordert, einer vorher einstudierten Choreographie nachzueifern, während der Mottosong „Breaking the chains“ lief. Jung und Alt, Geübt und Ungeübt bewegten sich begeistert im Takt der Musik und applaudierten sich selbst nach getaner Arbeit auch laut zu. Anschließend begann der vom Beschallungswagen angeführte Demonstrationsmarsch, bzw. -tanz durch die Hauptstraße zum Bismarckplatz. Unterwegs wurde noch zwei Mal – auf Höhe der Theaterstraße und des Anatomieplatzes – „Breaking the chains“ zum besten gegeben. Unterwegs verteilten Engagierte eifrig Flyer, die Infos über die Aktion enthielten und verzierten die Fassaden diverser Gebäude der Hauptstraßen mit bunten „Stop Sexism“-Plakaten. Sehr zum ausdrücklichen Ärger der Polizeibeamten, die der gut 250 Mensch starken Masse doch nicht Herr werden konnte. Ein von diversen Trommlern begleiteter Abschlusstanz fand dann gegen 16.00 Uhr auf dem Bismarckplatz statt.

So viel zum deskriptiven Teil. Jetzt möchte ich dann aber doch langsam mal die gaaanz weit oben angedeuteten Gedanken einfließen lassen. Zuallererst möchte ich loswerden, dass ich es erfreulich, motivierend oder, etwas pathetischer ausgedrückt, erbaulich fand, dass sich doch so viele Menschen trotz der klirrenden Kälte eingefunden haben, um gegen den Sexismus auf der Welt und in unserer Gesellschaft zu demonstrieren. Allerdings hat es mich dann doch enttäuscht zu sehen, dass dem Demonstrationsaufruf überwiegend Frauen gefolgt sind. Das lässt sich vielleicht auch ein wenig mit dem Sexismus-Begriff der Veranstalter erklären: es war stets nur die Rede von „sexueller Gewalt gegen Frauen“. „Diskriminierung von Frauen“. „Objektifizierung von Frauen“. So entsteht recht leicht der Eindruck, dass Sexismus per definitionem etwas (ausschließlich) gegen Frauen Gerichtetes sei. Selbstverständlich ist es, rein statistisch betrachtet, wesentlich häufiger der Fall, dass Frauen die Leidtragenden von Sexismus sind.
Neben dieser durch Begriffsverwendung impliziten Begriffsdefinition wurden die Adressatinnen des Protests auch anderweitig sichtbar: Give-aways, Infomaterial, Gesprächsofferten gingen ausschließlich an Frauen. Als sei Aufklärungsarbeit über Sexismus nur bei Frauen notwendig.

So gesehen hat die Heidelberger Demonstration einen wichtigen ersten Schritt gemacht: dazu beigetragen, dass v.a. bei Frauen ein Bewusstsein für das Vorhandensein von Sexismus in der Gesellschaft geschaffen wird und ihnen zu verstehen zu geben, dass es nicht nur notwendig, sondern völlig legitim und normal ist, diesen als solchen zu benennen und sich entschieden dagegen zu wehren. Noch einmal zur Klarstellung: dieser Schritt ist absolut notwendig. Unerlässlich. An ihm führt kein Weg vorbei. Aber, so meine Einschätzung, er greift zu kurz. Wie ich zu dieser Einschätzung komme?

Am aller enttäuschendsten fand ich die Reaktionen derer, die nicht Demoteilnehmer waren und vom Demonstrationszug überrascht wurden. In den meisten Fällen reagierten diese, sobald sie vom Demoanlass erfuhren mit einem durch Auflachen, Naserümpfen oder Kopfschütteln geäußertes unverständnis. Dabei dominierte, leider, das Auflachen. Und es waren nicht nur Männer, die verachtlich-herablassend gelacht haben. Das Lachen kam auch aus weiblichen Kehlen, deren Besitzerinnen ihr neugieriges Antlitz gerade aus einer gut beheizten Shoppinggelegenheit streckten. Diese Menschen sind es, die dazu beitragen, dass jeder Versuch, über Alltagssexismus und die Probleme damit zu reden, schon im Keim erstickt wird, in dem er für lächerlich erachtet wird.

Sexismus ist ein Problem, das nicht nur von den vermeintlichen Opfern – in aller Regel den Frauen – getragen wird. Alle Menschen der Gesellschaft positionieren sich – implizit oder explizit – zu der Fragestellung. Und es ist wichtig auch bei allen ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Deshalb sollte sich Aufklärung über den Sexismus auch nicht nur an Frauen wenden, die ihnen dann sagt, dass sie sich zur Wehr zu setzen haben. Denn auf diese Weise erreichen wir nur einen gesellschaftlichen Wandel, wenn die „Täter“ auf Widerstand stoßen. Stattdessen sollte Aufklärung auch an Männer gerichtet werden, um ihnen so die Chance zu geben, empathisch die Wirkung ihres Handelns nachzuvollziehen und um so ein offeneres Klima der „Mäßigung“ zu schaffen.

Dann klappt’s auch mit dem Nachbarmenschen 😉

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

3 Gedanken zu „One Billion Rising: Heidelberg“

  1. Danke für den Bericht 🙂
    Leider ist das irgendwie an mir vorbeigegangen, dass das heute auch in Heidelberg lief… Danke, dass ihr da wart!

    Hannes

  2. Angefangen bei sexueller gewalt gegen Frauen und geendet bei Sexismus.
    Eine ausgiebige Definition des zweiten Begriffs wäre angebracht.

    1. Du hast es erfasst. Sexismus ist jedes Schließen vom (biologischen) Geschlecht auf die Verhaltensweisen und Wesenszüge eines Menschen und damit einhergehend das Phänomen sozialer Sanktionierung beim Verstoß gegen so konstruierte „Geschlechternormen“. Sexuelle Gewalt (gegen wen auch immer) ist eine(!) Ausprägung von Sexismus.

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