„Es hat euch ja keiner gezwungen, nach Deutschland zu kommen.“

Schon eine geraume Weile gibt es einen Schattendiskurs, der unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung abläuft. Getragen wird er – leider – hauptsächlich von Grassrootskanälen wie Twitter, wo sich die Asylthematik unter den Hashtags #refugeecamp oder #refugeestruggle hautnah miterleben lässt. Die Regierungskoalition und weite der Teile der Gesellschaft machen es sich hier mit einem schwarz-weiß-Denken (pun not intended) viel zu einfach. Ein paar Überlegungen.

Asyl  findet in der öffentlichen Wahrnehmung nicht statt.

In der Lebensrealität der meisten Menschen existiert der Themenkomplex Asyl und Asylpraxis in Deutschland nicht. Wieso das so ist? Asylsuchende sind nicht sichtbar. Ihr Anliegen ist nicht sichtbar. Und beides ist – offensichtlich – politisch gewollt. Flüchtlingsunterkünfte finden sich _immer_ in Randbezirken, aufgebaut als konzentrierte Lagerstätten. Flüchtlinge sind institutionell dazu gezwungen, unter sich zu bleiben. Sie sind Menschen, die rein theoretisch – zumindest eine befristete Zeit lang – mit anderen Menschen im gleichen Staat leben, aber wiederum eine Parallelgesellschaft (eher eine Untergesellschaft) formen müssen. Das bekommen höchstens unmittelbare Anwohner mit.

Was weiß ein Mensch von der Lebensrealität eines anderen Menschen, der mit Lebensmittelmarken seinen Nahrungsbedarf deckt und danach wieder aus seinem Blickfeld verschwindet? Was weiß ein Mensch von der Lebensrealität eines anderen Menschen, der wegen einer Sprachbarriere stumm die Straße entlang läuft und in einem fremden Haus verschwindet? Wer nichts weiß, ist gezwungen, alles zu glauben. Und genau das passiert auch.

Es ist gefährlich, wenn Menschen unsichtbar werden

Deutsche Staatsbürger und Nicht-Flüchtlinge sehen davon nichts. In ihrer Wahrnehmung existieren Flüchtlinge nur, wenn sie sie mit eigenen Augen sehen und/oder sie zum Problem gemacht werden. Und Letzteres ist häufiger der Fall. Egal, ob das durch entsprechende suggestive Medienberichte geschieht, oder durch Unterhaltungen mit ebenso ahnungslosen da unerfahrenen Menschen aus derselben sozioökonomischen/soziokulturellen Schicht. Über das rechtslastige Wording „Asylbewerber“ verzerren sie nicht nur das Recht auf Asyl zu einem fakultativ zu vergebenden Privileg, sondern definieren sich gleichzeitig auch noch als Entscheidungsinstanz, die über dieses Privileg verfügen darf oder gar „sollte“.

Wenn Über das Anliegen Asylsuchender berichtet wird, dann meist, wenn sie sich gegen ihre Behandlung aussprechen. Da ihnen kein institutioneller Weg offen steht das zu tun und sie keine Lobby haben, liegt es an ihnen und ihren Unterstützern, eine öffentliche Plattform aufzubauen und für Wahrnehmung zu sorgen. Damit geraten sie aber oft in eine „Empörungsfalle“, die ihnen die bürgerliche Gesellschaft stellt. Die einzige Möglichkeit, für Aufmerksamkeit zu sorgen, ist durch Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Solche Aktionen, wie z.B. Protestmärsche, Demonstrationen, Hungerstreiks, etc., bringen oft ein irgendwie geartetes Einschreiten der Staatsmacht mit sich. Und meist setzt erst hier die mediale Berichterstattung ein. Die Botschaft, die beim unbedarften, da unerfahrenen Nicht-Flüchtling aus „der Mitte der Gesellschaft“ hängen bleibt: „Irgendwelche Ausländer machen etwas illegales und versuchen den Staat zu erpressen“. Ihre Solidarität gilt „ihrem“ Staat, „ihren“ Polizisten, „ihresgleichen“.

Die Solidarisierung soll verhindert werden

Einmal in der „Empörungsfalle“ gibt es keinen Ausweg mehr. Da über die Motivation der Flüchtlinge nichts bis wenig bekannt gemacht wird, verwechseln zu viele Menschen hierzulande Flüchtlinge mit Einwanderern. Bei zu vielen Menschen entsteht dann ein Gefühlsgemisch aus Neid und Missgunst: „da kommt jemand, der am Ende noch nicht mal Deutsch spricht, und stellt Forderungen an das Land, das ihm Unterkunft und Nahrung stellt, ohne, dass er jemals durch Arbeit etwas für diesen Staat getan hat. Ungerecht! Ich muss etwas für meine staatlichen Leistungen tun!“

Viel zu viele Menschen glauben, dass es sich bei Flüchtlingen um eine Art von Touristen handelt, die sich aus freien Stücken einfach da niederlässt, wo es ihr besser geht als anderswo. Der verzweifelte Versuch, die eigene körperliche und seelische Unversehrtheit aufrecht zu erhalten, hat nichts mit Tourismus zu tun. Viel zu viele Menschen haben keine Vorstellungen davon, vor welchen Zuständen die Asylsuchenden Schutz suchend nach Deutschland geflüchtet sind. Viel zu viele Menschen interessiert das auch gar nicht; denn alles, was sie sehen, ist eine Horde Ausländer, die vom Staat – also zu ihrem Nachteil – verwöhnt werden.

„Es hat euch ja keiner gezwungen, nach Deutschland zu kommen“

Viel zu viele Menschen legen eine „Das Boot ist voll“-Mentalität an den Tag. Sie sind der Auffassung, dass der Staat sich nicht um noch mehr Menschen kümmern könne, ohne, dass dadurch alle zu kurz kommen. Dieses Argument wird auch gern aus der Politik ins Feld geführt. Auch als Rechtsnorm festgesetzt, wie es sich im sog. „Asylkompromiss“ gezeigt hat. Doch damit führt die Politik gleichzeitig ein „Guter Ausländer / Schlechter Ausländer“-Schema ein, das mit den labels „erwünscht“ und „unerwünscht“ arbeitet. Implizit natürlich.

Der Fachkräftemangel hat die Politik schon längst auf die Spur gebracht, ausländische Fachkräfte anwerben zu wollen. Da wird ihnen Deutschland als Chance verkauft. Ein freundliches Arbeitgeberland, das sich nichts sehnlicher wünscht, als seine hoch qualifizierten Arbeitnehmer aus aller Herren Länder zu rekrutieren, weil es ja so offen und vielfältig und warmherzig und wohlwollend ist.

Für Flüchtlinge gilt ein Negativanreiz. An sie sendet der Staat das unmissverständliche Signal: „Ihr seid hier nicht willkommen! Warum auch? Wir haben euch nicht eingeladen. Es hat euch ja keiner gezwungen, ausgerechnet in Deutschland Asyl zu suchen. Es gibt doch noch so viele andere Länder, die nicht so weit von eurem zu Hause weg sind. Und wenn ihr ehrlich zu euch seid, isses da ja auch gar nicht mal sooo schlimm und bedrohlich…“

Eigentlich sehr erstaunlich für ein Land, das das mit der christlich-jüdischen Leitkultur so ernst nimmt. Hieß es da nicht mal irgendwo „Was ihr getan habt […] meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ ? Für die Nicht-Flüchtlinge in Deutschland hat das keine Bedeutung. Aber womöglich für alle, die in Deutschland arbeiten wollen, was hoffentlich einen fetten Strich durch die Rechnung der Politik macht und sie in ihrer Doppelmoral entlarvt.

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

3 Gedanken zu „„Es hat euch ja keiner gezwungen, nach Deutschland zu kommen.““

  1. „[…]Ihr seid hier nicht willkommen! Warum auch? Wir haben euch nicht eingeladen. Es hat euch ja keiner gezwungen, ausgerechnet in Deutschland Asyl zu suchen. Es gibt doch noch so viele andere Länder, die nicht so weit von eurem zu Hause weg sind. Und wenn ihr ehrlich zu euch seid, isses da ja auch gar nicht mal sooo schlimm und bedrohlich…[…]“

    Da fällt mir einiges zu ein das diesen Eindruck verstärkt… Abschieben an den Rand der Gesellschaft ohne den Versuch zu machen eine Integration zu erleichtern, Bevormundung wenn es um Sachen geht die für uns eigentlich ganz alltäglich sind (http://essenspakete.wordpress.com/) und und und…
    Eigentlich ist das ziemlich grausam wenn man sich anschaut, dass die Leute vor der Aussicht auf eine schreckliche Zukunft bis gar keine Zukunft fliehen und sich hier eigentlich einen Neuanfang und Hoffnung versprochen hatten. Pustekuchen. Willkommen sind sie hier nicht… Da wird mir schlecht….

  2. Danke für diese empathischen Gedanken, sie sind schmerzlich rar ..

    Proteste der Flüchtlinge, Asylbewerber richten sich gegen ‚Residenzpflicht‘ – (der Verstoß dagegen ist eine Straftat, die niemand sonst begehen KANN), gegen den
    Zwang in zugewiesenen Lagern/Massenunterkünften zu hausen, gegen Arbeitsverbot (im ersten Jahr, danach werden sie nachrangig zum Arbeitsmarkt zugelassen, d.h. wenn das Arbeitsamt geprüft hat, daß kein EU-Mitglied für diesen dem Arbeitsamt zu meldenen freien Arbeitsplatz zu finden ist, darf der Asylbewerber den Arbeitsplatz bekommen – welcher Arbeitgeber wartet darauf monatelang?), gegen den Ausschluß von Deutschkursen, gegen ihre Rechtlosigkeit, ja – und auch gegen Essenspakete als eins von vielen Zeichen ihrer Rechtlosigkeit –
    zu Essenspaketen gibt es weitere erhellende Infos:
    http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/essenspakete.102.html

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