Die Sache mit dem Kontext oder: Die Reichweite von Sprache

Och nöö, schon wieder so ein Linguisten-Blogpost. Aber immerhin ist er nicht ganz so weltfremd, da ich neulich in die Situation kam, über das Beschriebene nachdenken zu müssen. Und das ist dabei rausgekommen.

Ich erinnere mich da an ein Interview mit dem leider viel zu früh verstorbenen Frank Zappa, der sich neben seiner Musikerkarriere stets politisch engagierte. In einer Interviewsituation während einer Talkshow wurde er heftig dafür angegriffen, nicht kinder- und jugendgerechte Sprache in seinen Texten zu verwenden. Zappa erwiderte darauf: „It is just words“ („Es sind nur Worte“). Das ist natürlich erst mal richtig. Zumindest so lange, wie wir das Äußern von Worten nicht schon selbst als Handlung begreifen. Was wir aber tun!

>> Der Denkanstoß

Ich habe neulich den Tweet einer Freundin gesehen, in dem sie ein Wort benutzt hat, das nicht ganz der Political Correctness entsprach. Das hat mich verwundert. Denn ich kenne sie als einen besonnenen, überlegenden Menschen. Es hat mich beschäftigt. Nicht nur die Frage, warum sie dieses Tabuwort benutzt hat, sondern auch die Frage, ob ich intervenieren sollte oder nicht. Nach einigem Hin und Her bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sie das wohl aus Unwissenheit über die Tragweite dieser Sprechhandlung getan hat und grundlegend aber daran interessiert ist, nichtdiskriminierende Sprache zu verwenden. Also wollte ich sie darauf hinweisen. Dass das eher missglückt ist, liegt wohl einerseits am Medium (Twitter) andererseits an meinem – zumindest in dieser Situation – mangelnden Fingerspitzengefühl.

>> Ja und?

Aber was ist das Problem? Man hört ja immer wieder die Argumentation, dass Political Correctness (PC) sowieso für’n Arsch sei und viele Leute einfach viel zu empfindlich wären, die es dann – folgerichtig – auch mit der PC übertreiben. Das Problem ist, dass viele Menschen sich nicht darüber bewusst sind, dass andere Menschen denselben Sachverhalt anders bewerten können und es somit für diese durchaus zum Problem wird. Auch wenn es für einen selbst kein Problem darstellen mag, andere beispielsweise als „Arschloch“ zu bezeichnen – weil es in der eigenen Clique ein harmloses, eher neckisches Wort ist, an dem man nicht weiter Anstoß nimmt – heißt es noch lange nicht, dass der Empfänger einer Botschaft das auch so sieht.
Ähnlich verhält es sich auch bei Bezeichnungen, die Menschen mit bestimmten Eigenschaften als Referenzobjekt haben und aber in einem negativen Kontext verwendet werden. Für Dinge, die unglücklich, unpraktisch, unvorteilhaft, schlecht sind, hört man leider nicht nur auf Schulhöfen die Ausdrücke „schwul“ oder „behindert“. Natürlich ist es einfach zu argumentieren, dass das ja so nicht gemeint sei und es lediglich ein Ausdruck für einen negativ empfundenen Sachverhalt wäre, der nichts mit Homosexualität oder körperlich-geistiger Eingeschränktheit zu tun hat. Das hakt aber an zwei Punkten:

  1. Es kann die dem Wortursprung nach gemeinte Bezugsgruppe dennoch verletzen. Schließlich müssen sie sich anhören, dass eine Bezeichnung, die ihnen gilt, plötzlich synonym für etwas schlechtes verwendet wird. Es kann auch schon sein, dass – je nach Referenzbegriff – auch die kontextunabhängige Verwendung des Ausdrucks in den Ohren der Gemeinten beleidigend ist (Beispiel: Schwuchtel, Neger, Froschfresser, etc.).
  2. Die dadurch aufgebauten semantischen Assoziationen des Begriffs sind nach außen hin sichtbar. Soll heißen: wenn ich vor den Augen und Ohren anderer Menschen die Eigenschaft „schlecht“ mit dem Wort „schwul“ verknüpfe, verstehen sie diesen Bedeutungsbrückenschlag. Das schafft Legitimationsräume für die Verwendung des Begriffs in einem wertenden Kontext. Wenn andere also hören, dass es möglich ist, statt „schlecht“ auch „schwul“ zu sagen, ohne dafür in irgend einer Form sanktioniert (oder im schlimmsten Falle sogar noch belohnt) zu werden, läd es sie ein, das ebenfalls zu tun. Vor allem, wenn die Zuhörenden sprachlich sowieso eher unbedarft sind.

>> Freiheit der Kunst und Wissenschaft

Ja, ich habe da oben auch das Wort „Neger“ verwendet. Und nein, ich finde es nicht per se schlimm. Es war leider notwendig, um einen Sachverhalt zu erläutern. In diesem Fall ist es so, dass das Wort nicht einfach so im Raum steht. Denn auch als Referenzbegriff auf Menschen mit dunkler(er) Hautfarbe ist es nicht legitim, weil es für die bezeichnete Personengruppe eine Beleidigung darstellt. In diesem Fall ist es so, dass das Wort eingebettet in den Kontext dieses Blogposts fällt, in dem es eben darum geht, für Wort-/Sprachverwendung sensibilisiert zu werden. In diesem Kontext wurde (hoffentlich) unmissverständlich klar, wie die Begriffsverwendung gemeint war; nämlich rein analytisch.

Das Problem mit dem Kontext ist, dass er nicht immer und nicht immer vollständig erfassbar ist. Besonders bei Äußerungen im (digitalen) Öffentlichen Raum läuft mensch stets Gefahr, dass die Wahrnehmung des Äußerungskontexts bei Mitlesenden so ausfällt, wie er gerade eben nicht gemeint war, da oft nur die nackte Äußerung nachvollziehbar ist. Um einen Kontext einigermaßen missverständnisarm zu konturieren, bedarf es schon einer ganzen Menge kommunikativen Aufwands. Schaut euch nur mal an, wie viel ich hier schreiben muss, um auszuschließen, dass ein das hier lesender Mensch glauben könnte, ich würde das Wort „Neger“ allen Ernstes in meinem aktiven Wortschatz haben und benutzen.

Selbstverständlich ist es notwendig, über solche Phänomene zu sprechen. Und man kann nicht über die Verwendung des Begriffs „Neger“ sprechen, ohne dabei selbst „Neger“ zu sagen. Das ist eine Verwendungssituation, die meiner Meinung nach stets und unter allen Umständen möglich (= legitim) bleiben muss. Aber wenn die „wissenschaftliche“ Beschäftigung von der Man-sagt-überhaupt-nicht-Neger-Regel ausgenommen ist, wer sagt dann, dass es die einzige Ausnahme ist? Eben, das ist sie nicht. Beispielsweise in der Kunst solte es auch möglich sein, solche Begriffe zu verwenden. Natürlich stellt sich dann die Frage, was denn nun als Kunst zu bezeichnen ist und was nicht. Aber die Antwort darauf findet man häufig auch im Kontext. Jedes Kunstwerk ist oder erschafft sich seinen eigenen Kontext, dadurch, dass wir Kenntnis über die Macher, etwaige Titel des Kunstwerks und die Veröffentlichungs-, bzw. Konsumumstände dessen haben. Von da ausgehend mag jeder selbst entscheiden, was er als Kunst auffassen möchte und was nicht.

>> „Ich hab das nicht gesagt, ich hab das nur wiedergegeben!“

Besonders heftig tritt die Sache mit dem Kontext zu Tage, wenn mensch den Begriff nicht selbst seiner Bedeutung nach verwendet und dies auch nicht im Rahmen eines Kunstwerks sondern als Zitat eines anderen Menschen, dessen Meinung man in Hinblick auf die Verwendung des Begriffs nicht teilt, äußert. Wie soll denn ersichtlich werden, dass es eben nicht die eigenen Gedanken sind, die mensch mittelbar oder unmittelbar durch die Verwendung des Begriffs zum Ausdruck bringt? Hier greift dann wieder das oben genannte Problem: Auch, wenn die Begriffsverwendung so gar nicht gemeint war, reicht eine einfache Wiederholung ohne Erläuterung des Kontextes aus, um Legitimationsräume für die Verwendung des Begriffs zu schaffen.

>> Fazit

Ich verbiete niemandem, sich nach eigenem Ermessen auszudrücken. Wer aber diskriminierungsarm kommunizieren möchte, sollte berücksichtigen, dass der Kontext über die Auffassung bestimmter Begriffe entscheidet und dieser möglichst unmissverständlich erläutert werden muss. Nicht jeder Mensch verfügt über das notwendige Welt- und Sprachwissen, um den Kontext sofort so erfassen zu können, wie er von dem die Äußerung tätigenden Menschen gedacht war.

 

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

Ein Gedanke zu „Die Sache mit dem Kontext oder: Die Reichweite von Sprache“

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