“Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus….

…er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.”

Leute, ehrlich. Ich kann es nicht mehr hören! Diese zur Binsenweisheit avancierte Rechtfertigung der wohlstandsorientierten Lethargie-Legionen der Mittelschicht(en) ist nicht nur falsch und dümmlich, sondern auch noch gefährlich. Wieso?

Aber fangen wir erst mal bei null an. In bester sozialwissenschaftlicher Manier stellen wir uns erst einmal die Frage: „Was ist Faschismus?“ Wie immer in solchen Fällen greife ich da zunächst mal zu meiner wissenschaftlichen Maggi-Würze, dem „Lexikon der Politikwissenschaft. Theorien, Methoden, Begriffe(Hrsg. Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze; C.H. Beck Verlag, München, 2002). Im ersten Band (A-M) heißt es da unter „Faschismus“:

[…] ist urspr. Selbstbezeichnung der von B. Mussolini geführten, sich antikapitalistisch und antikommunistisch gebärenden, paramilitärische organisierten polit. Bewegung und der daraus hervorgehenden, 1921 gegründeten Partei (Partido Nazionale Fascista) so wie der von ihr 1922 in Italien errichteten autoritären Herrschaftsordnung.

Okay, das hilft uns in diesem Kontext jetzt erst mal nur bedingt weiter. Denn der Faschismusbegriff wird dieser Tage faktisch gar nicht auf Italien bezogen, sondern wird für Phänomene hier in Deutschland gebraucht. Tagesaktuelle, nicht welche von 1922. Also weiter im Text:

1. Als Kampfbegriff der Gegner des ital. F. wie entspr. Bewegungen in anderen Ländern der Zwischenkriegszeit […] wird der Begriff F. generalisiert. Idealtypisch kennzeichnet den F. (a) eine hierarchisch strukturierte, am Führerprinzip orientierte Parteiorganisation, (b) die doppelte Gegnerschaft gegen Liberalismus und Sozialismus, (c) das Ziel eines Autoritären Regimes bzw. eines totalitären Staates, (d) die Befürwortung von Gewalt als Mittel der Politik, (e) die Orientierung an militärischen Handlungsweisen und Organisationsformen und (f) eine eklektische Ideologie, die in der Idealisierung der eigenen Volksgemeinschaft und der aggressiven Ablehnung alles Fremden einem übersteigerten Nationalismus bzw. Rassismus folgt, auf einen charismatischen Führer zugeschnitten ist und die Rückbesinnung auf romantische bzw. reaktionäre Traditionen mit einer Vergötzung des modernen technologischen Fortschritts verquickt.

So. Das hat uns schon einmal bedeutend weitergebracht. Ich möchte darauf hinweisen, dass hier ein Idealtypus (s.o.) beschrieben wird. Nicht, dass jemand meint „mimimi aber Bewegung xyz hat keine militärisch geprägten Organisationsformen und kann deshalb nicht faschistisch sein mimimi“.

Jetzt, wo wir wissen, was Faschismus ist, können wir uns der Frage widmen, wieso das eingangs erwähnte Zitat gefährlich ist. Festzuhalten ist zunächst, dass es suggeriert, dass jeder Mensch, der sich als „Antifaschist“ bezeichnet, damit nur seine Anhängerschaft zum Neuen Faschimsus verschleiern und seine Handlungen in den Augen der Bevölkerung legitimieren möchte. Damit wird eine Gleichsetzung von Faschismus und Antifaschismus vorgenommen. Somit stolpern wir auch gleich über den zweiten zu klärenden Begriff, den des Antifaschismus. Dieser ist, wer hätte es gedacht, nicht einheitlich besetzt. Seiner Wortbedeutung nach beschreibt er eine den Faschismus ablehnende Haltung. Einen Idealtypus dessen, was Antifaschismus ist, liefern Nohlen/Schultze allerdings nicht. Wenn wir uns die oben zitierten (Ideal-)Bestandteile des Faschismus noch einmal anschauen, ist unser Grundgesetz schon als antifaschistisch zu betrachten. Ebnet es aber deshalb den Weg in den Neuen Faschismus? Höchstwahrscheinlich nicht. Denn dort sind Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, Recht auf Eigentum unumstößlich(!) festgeschrieben.

Wir stellen also kurzerhand fest, dass Faschismus und Antifaschismus unvereinbar sind. Die Begriffe stehen sich – wer hätte das bei der Namensgebung gedacht – diametral gegenüber. Das eingangs erwähnte Zitat, das übrigens dem italienischen Schriftsteller und Sozialisten Ignazio Silone zugeschrieben wird, taugt also nur bedingt als politisches Argument. Natürlich kann jeder Mensch sagen, er/sie/es würde nicht faschistisch sein, aber dennoch faschistisch handeln. Die Möglichkeit die Unwahrheit über seine Absichten zu äußern gilt aber für alle Menschen, völlig gleich, wo sie sich politisch einordnen würden. Aber rein konzeptionell/logisch ist die Aussage Silones nicht haltbar.

Wenn sich der deutsche Michel (oder sonstwer) auf Silone beruft, dann geht es ihm aber meist gar nicht um die Gegenüberstellung zweier Konzepte. Er setzt damit (zumindest implizit) zwei Dinge gleich, die nicht gleich sind. Wenn man dieses Zitat hört oder liest, dann in der Regel im Kontext folgender Szenerie: Neonazi-Aufmarsch in Stadt ABC mit Gegendemonstration. Bis die „Antifaschismus ist Faschismus“-Keule kommt, dauert es zwar gelegentlich eine Weile, dennoch beendet sie in den meisten Fällen die laufende Diskussion. Ein beliebtes Vorläuferargument ist das der Meinungsfreiheit. In den Augen der Silone Zitierenden ist es undemokratisch (und daher faschistisch m( ), sich dergestalt zu engagieren, dass man anderen Menschen ihr demokratisches Recht auf freie Meinungsäußerung nimmt.

Nein! Das ist schlichtweg falsch. Die deutsche Rechtssprechung legt gleich mehrere Grenzen der freien Meinungsäußerung fest. Wer das nicht glaubt, kann ja mal auf der Straße bliebige Personen mit der Meinung „Ich finde, du bist das größte Arschloch, das je auf diesem Planeten seine kümmerliche Existenz geführt hat“ konfrontieren und schauen, was das für juristische Konsequenzen hat. Aber auch jenseits von der Beleidigung zeigt das Grundgesetz eindeutige Grenzen auf. Ich berufe mich hier auf Artikel 18:

[Verwirkung von Grundrechten]

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere der Pressefreiheit […], die Lehrfreiheit […], die Versammlungsfreiheit […], die Vereinigungsfreiheit […], das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis […], das Eigentum […], oder das Asylrecht […] zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen

Tadaa! Unsere Demokratie muss sich nicht alles gefallen lassen, auch keine Angriffe auf die Demokratie als solche. Schon gar nicht, wie Artikel 18 zeigt, unter Berufung auf demokratische Grundrechte. Daher kennt die Bundesrepublik Deutschland auch mehrere Instrumente zum Selbstschutz (Parteienverbot, Verfassungsschutz, …). Deren Effektivität sei hier von der Diskussion ausgeklammert. Das ist nämlich ein ganz anderes Fass.

Aber zurück zum Thema. Die Gleichsetzung von Faschismus und Antifaschismus ist deshalb gefährlich, weil sie – ihrer eigenen Logik folgend – keinen Widerstand gegen den Faschismus zulässt, da dieser letztlich selbst Faschismus sei. So werden in Kommentaren und Diskussionsbeiträge auch immer wieder mit der Floskel „faschistoide Methoden“ versehen, um die vermeintliche Identität von Faschismus und Antifaschismus, Rechts- und Linksextremismus, Neonazis und Gegendemonstrierenden zu belegen. Um also nicht selbst zum Faschisten zu werden, müssen sich die mit dem Zitat argumentierenden in Nichtstun hüllen. Damit aber lassen sie die tatsächlichen Faschisten gewähren. Und als ob das nicht schon schlimm genug sei, subsumieren sie auch noch jeden Widerstand – völlig gleich, von wem er kommt – unter dem Antifaschismus und folglich dem Faschismus selbst.

Leute, die so argumentieren, untergraben auf individueller Ebene das Konzept der wehrhaften Demokratie. Für Menschen, die so denken, muss das Kind erst in den Brunnen gefallen sein, ehe sie auf die Idee kommen, dass es vielleicht gar keine so schlechte Idee sei, die Öffnung entsprechend abzusichern. Denn legitimer Widerstand kann – wenn überhaupt – dann nur von Seiten des Staates kommen. Zum Beispiel durch ein Parteiverbotsverfahren. Allerdings müssen, soll dieses Aussicht auf Erfolg haben, bestimmte Tatbestände erfüllt sein, ergo, muss schon „etwas passiert“ sein. Und wer anders darüber denkt? Tja, der ist halt ein „Linksfaschist“.

Natürlich tragen viele Aktionen, die von Autonomen organisiert und getragen werden, Züge der Selbstjustiz, da eben nicht auf „den Rechtsweg“ gesetzt wird, sondern unter der Absicht, Prävention zu betreiben, gehandelt wird. Nicht notwendigerweise, aber es ist möglich. Jedoch ist das nicht, ich wiederhole NICHT identisch mit jedem Protest der Zivilbevölkerung. Es sollte doch eigentlich auf der Hand liegen, dass Formen des zivilen Ungehorsams oder einfach nur friedliche Teilnahme an einer Gegendemonstration nicht per se dasselbe sind, wie wenn ich – beispielsweise – vermummt Steine auf Neonazis schmeiße.

 

Antifaschismus ist, was du draus machst. Diese letzte Unbekannte wird aus der Gleichung nicht zu tilgen sein. Aber unter Berufung auf diese Ausführungen und die konzeptionell dargelegte Begriffsbesetzung von Antifschismus verstehe ich nicht, wie man allen Ernstes das mehrfach erwähnte Zitat als Argument ins Feld führen kann.

Alerta!

 

Autor: Herr_Samsa

Eingeschlafen - geträumt - aufgewacht - Käfer.

3 Gedanken zu „“Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus….“

    1. Erst mal schließe ich mich Nivatius an. Dann aber: Nicht jeder, der sagt und schreibt, vermummte Steine zu schmeißen (und dergleichen Ähnliches) sei faschistoid ist Faschist – ebenso wie manche Forderungen von LindA (Leben in der – Heidelberger – Altstadt) m. E. faschistoid sind. Und dann auch so genannt werden sollen dürfen! Auch steckt, wer wie ich meint, die NPD solle nicht verboten werden
      http://rundschau-hd.de/2012/09/gebetsmuhlenartig-immer-mal-wieder-npd-verbot/
      nicht als Schaf im Faschistenpelz. LG, Tenno

  1. Sorry aber das Offensichtliche in Webseitenformat zu veröffentlichen hilft niemanden weiter.
    Die Problemstellung ist wohl jedem bekannt der nicht gemeint ist und wer gemeint ist wird sich durch den Beitrag nicht angesprochen fühlen.

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